Die nackte Wahrheit

Das UNO-Ziel Nr. 5 ist die tatsächlich erlebte Gleichheit von Männern und Frauen in ihrer Lebensgestaltung. Dies ist ein anspruchsvolles Ziel, heißt es doch im Jahresbericht 2020: „Frauen sind häufiger in Machtpositionen, doch von der Geschlechterparität ist die Welt noch weit entfernt.“

Das Thema hatten wir schon aufgegriffen und mit Nan Goldin und Roswitha Hecke zwei bemerkenswerte Fotografinnen vorgestellt. Heute geht es um die erfreuliche Tatsache, dass dieses UNO-Ziel in einem Punkt schon immer erreicht ist. Von Anfang haben Frauen und Männer eines gemeinsam: wir alle kommen als Babys nackt zur Welt. Vermutlich wird sich daran auch nicht so schnell etwas ändern.

Nacktheit ist also normal. Das ist wichtig, denn je nach Klimazone, Geschlecht und Weltanschauung werden Menschen dann in Gewänder gehüllt, gepuckt, nackt gelassen oder unter Hüllen gesteckt.

Nacktheit war auch seit jeher im Mittelpunkt des Kunstinteresses. In allen Regionen der Welt, in allen Zeitzonen wurden Menschen nackt dargestellt. Als Statuen, als Zeichnungen und als Gemälde. Sogar die katholische Kirche akzeptierte Nacktheit: Allerdings nur bis einflussreiche muslimische Gäste kamen und die Geschlechtsteile von Statuen in Rom hinter Blättern verschwanden.

Die Fotografie griff das Thema des unbekleideten menschlichen Körpers begeistert auf. Nacktheit wird immer wieder präsentiert. Erotisch, in der Werbung, humoristisch, satirisch und gar grenzüberschreitend.

Diese Fotos rufen die verschiedensten Reaktionen hervor. Und diese Reaktionen sind zumeist vorhersagbar, denn sie sind abhängig von der Ansicht einzelner Menschen und von den geltenden Moralvorstellungen eines Landes. So lässt uns möglicherweise ein amerikanischer Film in Deutschland irritiert zurück, wenn ungehemmt Gewalttaten gezeigt werden, eine Frau in einer „Bett“-Szene jedoch einen BH trägt.

Im Sinne der Geschlechter-Gerechtigkeit lohnt der Blick auf zwei Werke aus etwas überraschenden Blickwinkeln.

Karin Székessy: Bell`ami © Karin Székessy

Pierre et Gilles: Vive la France, 2006 © Pierre & Gilles

Bell`ami aus dem ganz besonderen Blickwinkel einer ideenreichen Fotografin in Zeiten der Schwarz-Weiß-Fotografie und Vive la France aus dem Blickwinkel eines ganz besonderen Fotografen-Duos. Männer-Nacktheit scheint doch etwas problematisch zu sein. Das hier gezeigte Foto sollte im Jahr 2012 in Wien als Plakat für die Ausstellung Nackte Männer dienen. Doch das Leopold-Museum überklebte nach massiven Protesten die „Corpora delicti“ freiwillig mit Zensurbalken und ersetzte in Nähe von Schulen die Plakate durch ein anderes Motiv.

Freuen Sie sich hier über ein unzensiertes Foto dreier keineswegs nackter Männer mit dem Titel Vive la France und in den Farben der Trikolore.

Begonnen hat Székessy als Reportagefotografin bei Kristall. Sie lehrte anschliessend Modefotografie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Von Anfang an waren Puppenfotos, Portraits, Landschaften und Stillleben ihre Motive. Als Székessy’s Aktfotografien dazukamen, erlangte sie weltweite Berühmtheit. Ihre Werke wurden international in zahlreichen Ausstellungen gezeigt. Was wenige wissen: Karin Székessy fotografierte ca. 300 Coverfotos für Kriminalromane des Ullstein-Verlages.

Die beiden Darsteller sind ein schwules französisches Künstlerpaar. Pierre und Gilles machen fast ausschließlich aufwändige inszenierte Aufnahmen in ihrem Studio. Mit Fotografien wie z.B. von katholischen Heiligen erregten sie nicht nur Aufsehen, sondern sie wurden in der ganzen Welt bekannt und ihre Werke wurden international ausgestellt.