Der Pfad der Gier

Als 1848 der Mexikanisch-Amerikanische Krieg beendet war und Mexiko per Vertrag große Teile des Landes verlor, war der Rio Bravo die neue Grenze. Nun verfügten die USA über große Teile der Great Planes und weiße Siedler eigneten sich das Land an. Sie führten ethnische Säuberungen durch und steckten die Ureinwohner in Reservate. Bisonherden wurden vernichtet. Das Weideland bekamen die Rinderzüchter.

Ulysses S. Grant, der 1869 bis 1877 der 18. Präsident der Vereinigten Staaten war, urteilte: Dieser Krieg war „einer der ungerechtesten, der je von einer stärkeren Nation gegen eine schwächere geführt wurde“. Doch so konnte der erbarmungslose Ablauf beginnen: Aufzucht von Massen an Rindern auf den Weidegründen der Great Planes, Verarmung der Artenvielfalt, Viehtrieb nach Chicago, Schlachten und Versenden in verschiedene Teile des Landes.

Professionelle Anwerber akquirierten Arbeiter in Osteuropa im Auftrag der großen amerikanischen Fleischbarone, the Big Four genannt. Tier und Mensch wurden unter erbärmlichen Zuständen ausgebeutet.

Dies veranlasste den Schriftsteller Upton Sinclair zu dem Buch The Jungle. Seine Informationen holte er sich, indem er sich undercover einschlich. Er beschrieb den Höllenlärm, das Schreien der gequälten Tiere, das elende Leben von Arbeitern in den Fabriken. Kinderarbeit war Normalität, ebenso wie Verstümmelungen und Tote durch Infektionen. Viele Verlage lehnten die Veröffentlichung ab und die Fleischindustrie bezeichnete die Informationen als erfunden und erlogen. Doch ein Verlag veröffentlichte es 1906, nachdem der Inhalt verifiziert worden war. Es wurde ein Bestseller und innerhalb weniger Monate in 17 Sprachen übersetzt.

Die Empörung und der Ekel der Amerikaner waren nach der Veröffentlichung des Buches so enorm, dass sich Präsident Roosevelt gezwungen sah Hygiene- und Verbraucherschutzgesetze zu erlassen. Allerdings beschimpfte “Teddy” Roosevelt den Schriftsteller und andere sozialkritische Kollegen als Muckraker (Schmutzaufwühler). Nun, Schmutz kann man nur aufwühlen, wenn welcher da ist.

Offenbar waren Tierwohl und Ausbeutung den Menschen eher egal. Sie wollten lediglich kein Billigfleisch konsumieren, das Schimmel, Rattenkot und verdorbene Fleischreste enthält. Die Ausbeutung der Arbeiter und das Sterben der Tiere jedoch blieb beim Alten. Sinclair sagte dazu: „Ich habe auf die Herzen meiner Leser gezielt, und dabei versehentlich ihren Magen getroffen.“.

Unbekannter Fotograf: Chinesische Delegation, 1915 © Chicago History Museum

Interessierte aus der ganzen Welt reisten nach Chicago, um das systematisierte industrielle Töten kennenzulernen. Eine chinesische Delegation im Jahr 1915 ebenso wie der Deutsche Karl-Ludwig Schweisfurth in den 50er Jahren.
Der Erbe einer Metzgerei importierte mit 25 Jahren diese Fertigungsart nach Deutschland und baute das größte fleischverarbeitende Unternehmen Europas auf.

Ein Zeitsprung in das Krisenjahr 2020:

  • in Schlachtfabriken unzureichende Betäubung der Tiere,
  • Kastration von Jungtieren ohne Betäubung,
  • Probleme mit der Hygiene,
  • heute wie damals Dumpingarbeiter aus Osteuropa, die in lebensunwürdigen Behausungen zusammenleben müssen

alles dem Billigwahn und der Gier nach billigem Fleisch untergeordnet.

Was hat sich eigentlich groß geändert seit Chicago vor 150 Jahren? Man bekommt den Eindruck: nicht viel. Die Süddeutsche Zeitung schrieb 2013 dazu: „Was sich in Schlachthöfen abspielt, ist für viele Kritiker mehr als Ausbeutung. Die Rede ist von Menschenhandel und organisierter Kriminalität.“ Sinclairs Dschungel ist offenbar dauerhafte Realität.

Respekt und Achtung im Umgang mit Tieren und Pflanzen, scheint heute schon aus purem, egoistischen Überleben-Wollen der einzige Weg zu sein. Und wir entscheiden im Alltag durch unser Einkaufs-und Essverhalten mit über die Zukunft des Lebens an Land.

Yann-Arthus Bertrand: People and their Animals © Yann-Arthus Bertrand

Bertrand, geboren 1946 in Paris, ist ein französischer Fotograf, Journalist, Reporter und Umweltschützer. Er wurde unter anderem durch seine spektakulären Luftbildaufnahmen und sein von der UNESCO gefördertes Projekt The earth from above international bekannt.